Isabella Degen

Lernen, so viel man nur kann!

Isabella Degen kam durch ihre berufliche Karriere in der Welt weit herum. Durch die Arbeit mit ThoughtWorks lebte sie unter der Woche beispielsweise in Kopenhagen, Dublin oder Glasgow und am Wochenende reiste sie nach London. Die weltweite Tätigkeit dieses Unternehmens ermöglichte Isabella in Gebieten wie den USA, Brasilien, Afrika, Australien und sogar in Teilen Asiens wichtige Beziehungen zu knüpfen. Seit mehreren Jahren ist sie in London sesshaft. Auf der einen Seiten wegen ihres Unternehmens «Quin» und andererseits, weil sich dort ihr privates Leben abspielt.

Wofür sind Sie als ehemalige Schülerin des Theresianums besonders dankbar?

Für mich war meine Zeit im Theri sehr prägend. Ich fühlte mich wohl, fand tolle Freundinnen, mit denen ich heute noch Kontakt habe und mir machte das Lernen Spass. Seit ich in England lebe, ist mir so richtig bewusst, was für ein Glück ich hatte, so eine gute Grundausbildung zu geniessen. Im Theri habe ich gelernt, mit anderen zusammenzuarbeiten, Vorträge zu halten, zu debattieren und mich sehr schnell und gründlich in ein Thema einzulesen. All das kommt mir noch heute jeden Tag zugute. Aus erwachsener Sicht war es auch wichtig, dass das Theri zu meiner Zeit eine Frauenschule war. Als Jugendliche fand ich dies nicht immer so toll, aber das merkte ich erst als Erwachsene. Nach dem Gymnasium war ich als Frau immer in der Minderheit. Doch dank meiner Ausbildung im Theri hatte ich das Selbstbewusstsein, meinem Weg zu folgen und zu wissen, dass ich als Frau auch die Chancen erhalten kann, welche normalerweise Männern zustehen.

Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie sich beruflich dem Thema Diabetes widmen wollen?

Mir war lange nicht klar, dass ich etwas im Bereich Diabetes erschaffen wollte. An der ETH war ich mir sogar sicher, dass ich niemals eine eigene Firma gründen würde. Wenn ich zurückblicke, hat mir aber das Kreieren, Basteln und Tüfteln schon immer sehr gut gefallen. Ich glaubte sehr lange, dass andere, viel besser als ich, eine wertvollere Lösung für Menschen mit Diabetes realisieren könnten. Aus fünf Jahren wurden 25 Jahre und für diejenigen, welche mit Diabetes leben, hat sich verglichen mit anderen technischen Errungenschaften nicht wirklich viel verändert. Vor allem treffen die Diabetiker noch immer jeden Tag eigenständig und mehrmals die Entscheidung, Insulin zu spritzen – eine überlebenswichtige Entscheidung. Sogar die Wissenschaft weiss nicht genau, was denn die richtige Menge ist und wann der richtige Zeitpunkt zum Insulin spritzen wäre. An der ETH wurde mir mehr und mehr bewusst, wie viel man mit Technik erreichen kann und wie wenig wir die modernen Techniken im Alltag anwenden. Folglich wollte ich mein Wissen und Können vermehrt dem Bereich Diabetes widmen, um so eine bessere Lösung für alle Diabetiker zu schaffen.

Im Ingenieurwesen sind vor allem Männer vertreten. Was hat Ihr Interesse an der Ingenieurwissenschaft geweckt? Hatten Sie ein besonderes Erlebnis?

Als ich mich für die Ingenieurwissenschaften entschieden habe, überlegte ich mir überhaupt nicht, dass ich dort als Frau in der Minderheit sein würde. Ich ging einfach meinen Interessen nach: dem Kreieren, Bauen und Erfinden. Ich kam auch eher durch Zufall zur Elektrotechnik. Ich besuchte mit meinen Theri-Freundinnen einen Schnuppertag an der ETH. Meine Freundin wollte Architektur erkunden, ich dachte mir, dass es am besten sei, wenn ich ein Gebiet schnuppern gehe, von dem ich überhaupt nichts wusste. Wie sonst sollte ich etwas Neues entdecken, das mir Spass machen könnte? Bei der Elektrotechnik haben sie uns unter anderem moderne Medizintechnik gezeigt (MRI). Das fand ich unglaublich spannend und ich war fasziniert von der interdisziplinären Anwendung der Elektrotechnik. Zudem wurde mir gezeigt, wie man Maschinen baut, die das Leben von Menschen verbessern können. Ich wusste gleich: «Das ist etwas für mich!» Ausserdem kann man mit einem ETH Studium nicht so schief liegen, auch wenn man später die Richtung wieder wechseln würde. Am ersten Tag des Studiums sass ich im riesengrossen Hörsaal mit 250 anderen Elektrotechnik-Studenten, unter welchen nur neun andere Frauen waren. Ich wunderte mich schon, ob das wohl eine gute Entscheidung war. Ich kann leider auch nicht sagen, dass das Berufsleben als Frau in der Technik einfacher wurde. Auch heutzutage kommt es öfters vor, dass aussenstehende Personen annehmen, dass ich sicherlich nichts vom Ingenieurwesen verstehe und diese wundern sich dann, wer bei «Quin» die Technik leitet. In einem potenziellen Investoren-Meeting wurde uns sogar vorgeschlagen, wir sollen doch Billionäre heiraten, um «Quin» zu finanzieren...?! Ich denke mir immer wieder, dass es in der Medizin vor hundert Jahren ja auch so war. Doch die Zeiten ändern sich und ich hoffe für die nächste Generation Frauen, dass sie es einfacher haben werden.

Sie sind eine von zwei Gründerinnen des Unternehmens «Quin». Wie sind Sie dazu gekommen, ein solches Unternehmen zu erschaffen?

Die Idee, Menschen mit Diabetes im Alltag bei der Entscheidung zu helfen, wann und wie viel Insulin sie spritzen müssen, hatte ich an der ETH. Damals wusste ich aber nicht, wie ich das verwirklichen könnte und so blieb die Idee vorerst ein Traum. Als ich dann durch ThoughtWorks einen Führungskurs besuchte, stellte uns dessen Leiterin, Barbara Fittipaldi, die Aufgabe, dass wir einander sagen sollen, was wir denn wirklich im Leben erreichen wollen. Da kam mir erneut diese Idee in den Sinn und dieses Mal konnte ich sie nicht so stehen lassen. Ich wusste, dass ich Hilfe brauchen würde, um die Idee in die Tat umzusetzen. Ich erzählte Cyndi Williams (Mitgründerin «Quin», damals Leiterin der Produktabteilung ThoughtWorks Studio und Mentorin) bei einem Kaffee davon und dass ich auf der Suche nach einer Mitgründerin sei. Sie war sofort dabei und infolgedessen nahm die Idee Gestalt an.

Was braucht es, um ein medizinisches Produkt dieser Art zu entwickeln?

Kurz gesagt: Ein medizinisches Produkt, sei das eine App oder ein Gerät, ist kompliziert zu entwickeln. Zum einen hat dieses Produkt die Möglichkeit, das Leben von Menschen markant zu verbessern, aber zum andern könnte es ein Leben auch verschlechtern oder im schlimmsten Falle sogar zerstören. Um das zu verhindern, gibt es viele Regulationen, die eine medizintechnische Firma einhalten muss. Diese stellen grosse Anforderungen an die Produktqualität, die Entwicklungsmethoden, die Funktionalität des Produktes, wie und in welchem Land es vermarktet werden darf, wer der Kunde sein darf und so weiter. Dass diese Anforderungen eingehalten werden, wird auch von den entsprechenden Behörden kontrolliert. Wie Sie sich vorstellen können, erhöht dieser Vorgang die Entwicklungskosten und -zeit enorm. Zudem ist sehr viel Fachwissen, vor allem auch im medizinischen Bereich, gefragt. Wir müssen beweisen, dass unser Produkt medizinische Vorteile gegenüber den herkömmlichen Methoden hat, bevor wir es überhaupt lancieren dürfen. Normalerweise versucht man in Startups innerhalb von Wochen und Monaten ein Produkt auf den Markt zu bringen, bevor man es verbessert. Dies erleichtert die Finanzierung gewaltig. «Quin» versucht trotz Vorgaben, ähnlich vorzugehen. Wir sind sehr stolz auf unsere einzigartigen medizintechnischen Entwicklungsmethoden, welche es uns erlauben, unsere App mit Kunden zusammen zu entwickeln und Vorgaben einzuhalten. All dies braucht unglaublich viel Durchhaltewillen. Daher war es auch sehr motivierend und bestärkend, als wir im letzten Herbst eine von zehn Firmen waren, die das «Apple Entrepreneur Camp» gewannen und eine Woche lang in Kalifornien mit Apple-Mitarbeitern an unserer App arbeiten konnten.

Wie hat «Quin» Ihr Leben verändert?

Als wir «Quin» gründeten, bedeutete dies, dass ich mich von einem verlässlichen Job als technische Beraterin mit verlässlichem Einkommen, hervorragenden privaten Versicherungen und sehr guten Karrieremöglichkeiten auf eine unsichere, risikoreiche, unbekannte und viel arbeitsintensivere Verpflichtung einliess. Als Startup können wir uns nie ganz alle Mitarbeitenden und Fachleute leisten, die wir eigentlich bräuchten. Viele Arbeiten, welche ich verrichte, habe ich noch nie zuvor ausgeführt. Ich muss mir also dauernd neue Fähigkeiten aneignen. Das macht mir viel Spass, dennoch kann es emotional auch sehr zehrend sein. Um dranzubleiben, mache ich mir immer wieder vor meinem geistigen Auge bewusst, weshalb ich das überhaupt mache: Ich will bessere Lösungen schaffen für Menschen, die mit Diabetes leben.

Was verschafft Ihnen nach der Arbeit einen Ausgleich in Ihrem Leben?

Ich wandere sehr gerne zusammen mit meinem Lebenspartner. In Oxfordshire kann man wunderschöne 20 Kilometer lange Rundwanderungen über sanfte Hügel, durch weite Kornfelder und Wälder unternehmen. Meine Ferien verbringe ich einerseits im Lake District, welcher unzählige prächtige Touren durch wunderschöne Berg- und Seenlandschaften bietet. Andererseits komme ich einmal pro Jahr zurück in die Schweizer Alpen, die für mich unvergleichlich sind und welche ich in Grossbritannien sehr vermisse.
Seit kurzem habe ich auch einen Hundewelpen, einen englischen Working Cocker Spaniel, den ich mit Hilfe von professionellen Trainern eigenhändig zu meinem Diabetes-Assistenzhund erziehe. Ich kann es kaum erwarten, bis er alt genug ist, um mich auf meinen langen Wanderungen begleiten zu können und mich bei der Kontrolle meines Blutzuckerspiegels unterstützt.
Mein Partner und ich haben das Glück, einen Gemüsegarten mitten in London zu haben. Der Garten bereitet mir sehr viel Freude und Abwechslung. Er wird auch von vielen Wildtieren wie Vögeln, Füchsen und Eichhörnchen besucht, die man eigentlich nicht in den Massen in einer Grossstadt erwartet. Es bereitet mir Vergnügen, die Tiere zu beobachten.

Was möchten Sie den Schülerinnen und Schülern des Theresianums mitgeben?

Als ich im Theri war, habe ich nie daran gedacht, nach England zu ziehen. Ich wusste auch nicht, dass ich irgendwann einmal eine Firma gründen würde. Ich habe mich immer für Fächer und Wege entschieden, die viel Zukunftsoptionen haben. Darüber hinaus habe ich versucht, mich sehr vielfältig auszubilden, von der Sprache bis hin zur Technik. Ich glaube, dass interdisziplinäres Denken und Können künftig immer gefragter sein werden. Deshalb würde ich sagen, nehmt an so vielen Fächern und Gelegenheiten teil, wie ihr könnt, wer weiss schon, wofür das einmal gut sein wird. Das Leben muss in diesem Alter noch nicht geplant sein. So lange ihr selber Entscheidungen trefft, die euch viele Eventualitäten bieten, seid ihr auf einem guten Weg.

Mehr Infos

«Quin» ist Online unter: https://quintech.io
Diabetiker und potenzielle Benutzer von «Quin» dürfen sich Online melden unter: https://quintech.io/research/
LinkedIn-Profil Isabella Degen: https://uk.linkedin.com/in/isabelladegen
Twitteraccount Isabella Degen: https://twitter.com/isabelladegen?lang=de

Bild

Isabella Degen
Geboren am 23.06.1981 in Schwyz

Wohnort
Aufgewachsen in Ibach, Schwyz, Seewen, Zürich
Aktuell wohnhaft London – Crouch End (GB)

Ausbildung
1988-1994 Primarschule im Christophorus Schulhaus und später im Muota Schulhaus, Ibach
1994-1996 Oberstufe im Schulhaus Rubiswil, Ibach
1996-2000 Gymnasium, Typus B, Theresianum Ingenbohl
2000-2006 Masterstudium in Ingenieurwissenschaften Elektrotechnik und Informationstechnologie an der ETH in Zürich

Tätigkeiten
2003-2005 Forschungsassistentin an der ETH in Zürich (CH)
Entwicklung von Algorithmen zur Automatisierung und Verbesserung der Visualisierung von Mikro-CT-Bildern.
11/2005-05/2006 Masterarbeit im Unterwasser-Robotik-Labor der Universität Tokio (JP)
Jelly Vision – Ein Computer-Algorithmus für die autonome Verfolgung von Quallen in der Mesopelagischen Schicht des Ozeans.
07/2006-08/2014
Technisch leitende Beraterin des Unternehmens ThoughtWorks, London (GB)
Das Unternehmen erstellt global Software in verschiedenen Bereichen.
09/2014-Heute Gründerin und CTO der Firma «Quin», London (GB)
Das Unternehmen sucht nach besseren Lösungen für Menschen mit Diabetes. Entwickler der Quin App.