20.12.2023

Weihnachten

Aus dem Leben einer Religionslehrerin

Bild

Alle Jahre wieder sitze ich im Dezember vor dem PC und bastele an der Schulweihnachtsfeier. Alle Jahre wieder muss ich mir seufzend eingestehen, dass das schwierig ist, dieses Fest Weihnachten. Da muss man Geschenke besorgen für Menschen, die bereits im Konsum ersticken, alles haben oder deren Geschmack oder Grösse man zielsicher ganz knapp nicht trifft. Da muss man die Wohnung schruppen als käme der Papst zu Besuch. Da muss man ein feines Festmahl zaubern: An Heiligabend etwas Traditionelles, das uns verbindet mit den Jahren zuvor. Aber einfach und praktisch muss es sein, sonst passt es nicht mehr in den Zeitplan. Vielfach greift man da zu Kartoffelsalat und Würstchen, habe ich mir berichten lassen. Das hat mich immer sehr irritiert – Heiligabend ist doch kein Picknick am See.
Und an Weihnachten dann ganz gross und feierlich ein Festmahl: Gänsebraten und Klösse oder so ähnlich, fettig und schmackhaft, als hätten wir unterm Jahr nicht genug zu essen bekommen – in jedem Fall nichts für Vegetarier.

Mühsam und sperrig dieses Weihnachten. Da macht sich mancher einfach aus dem Staub –  in den Sand – entfliegt Weihnachten in den sonnigen Süden als gäbe es dort keinen 24. Dezember und kriegt dann doch den Christmas Blues und braucht urplötzlich zur Palme doch noch eine grüne Tanne mit roten Kugeln. So berichtet mir alle Jahre wieder meine Tante, wenn sie – alle Jahre wieder – mit einer Freundin nach Gran Canaria fliegt, um den Weihnachtstrubel zu entgehen.

Bild

Weihnachten ist eine Konzentration, ist komprimierte Anspannung auf Tradition, auf Erwartungen und Vorfreude. Weihnachten kann man nicht einfach nur nett zusammensitzen. An Weihnachten braucht es irgendwie mehr Lametta. Das ist Glitzerstaub in Streifenform, ökologisch höchst fragwürdig. Es sei denn, man fertigt es aus Sauerkraut selbst an. Weihnachten schmeckt wie ein Kuchen mit zu viel Zuckerglasur, der schon beim reinen Anblick dick macht und Karies verursacht.

Und plötzlich kann ich sie verstehen, die Tante in Spaniens Süden – nein, besser noch: ich käme am liebsten gleich mit. Und so sitze ich vor dem PC, hacke in die Tasten und komme doch kein Deut weiter mit dem Weihnachtsgottesdienst.

Auch nach der Fünf-Minuten-Pause an der frischen Luft nicht, die sonst landläufig als sehr kreativ inspirierend angesehen wird. Dann eine Blitzidee - endlich: ich könnte ja was aus dem Netz nehmen. Runterladen und ein bisschen anpassen. Fertig. Das schmeckt dann wohl wie aufgewärmtes Essen vom Nachbarn, das ich meinen Kindern als meines verkaufe. Das merkt doch jeder gleich.

Und dann fliegt die Zimmertür mit einem Ruck auf und zwei braune Knopfaugen schauen mich auffordernd an und flüstern wortlos «Bewegungspause!» Die Rettung, die Ausrede schlechthin: Mein Hund. «Liebe Kolleginnen und Kollegen, höre ich mich sagen, die heutige Weihnachtsfeier fällt leider aus. Ich musste Gassi gehen. Das Gassi-geh-Kind ist nämlich krank und sonst ist auch gerade keiner in der Nähe, dem ich dieses Amt anvertrauen kann.» Ach, wäre das nicht wunderschön. Fast so schön wie Gran Canaria. Und mich schüttelt es vor Lachen. Selbstironie, welch heilsame Medizin.

Das Zeitfenster für heute schliesst sich allmählich – vielleicht kann ich einen alten Text von mir nochmals nehmen. Das wäre dann wie Essen aus dem Frost, nicht ganz frisch, aber lecker und vor allem authentisch. «Geh an die Orte, die du fürchtest» – steht als Leitspruch über meinem Schreibtisch. Blödes Sprichwort, deinetwegen sitz ich jetzt vor diesem Gottesdienstentwurfsversuch.

Bild

«Alles kommt zur rechten Zeit, für den der warten kann» – klebt als Leitspruch irgendwo anders. «Wunderbar», denke ich bei mir. Dann klapp ich jetzt den PC zu. Risiko? Oder Vertrauen?

Aber es lässt mich eh nicht los das Merry Christmas-Marry-go-round-Iris goes mad. Weihnachten? Eigentlich freue ich mich auf die Zeit danach, dann, wenn wieder Ferien sind und ich wieder durchatmen kann.

Wenn man die Orientierung verliert, dann braucht man Abstand – nicht auf Gran Canaria – da ist jetzt eh schon alles ausgebucht – inklusive Hundepension.

Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, gilt es einen Schritt zurückzugehen, um das Wesentliche wieder in den Blick zu bekommen, um zu erkennen, worauf es eigentlich ankommt.

Worum also geht es bei Weihnachten? Kekse, Krippe und Konsum. Geschenke und Erwartungen. Festtagsbrauch und festgefahrene Traditionen. Essen bis der Bauch schmerzt. Mal wieder in die Kirche gehen. Nein. Da muss noch mehr sein. Weihnachten ist ein sperriges Fest, ein explosives Fest.

Vielleicht ist es das, was dieses Fest so schwierig macht. Wir sind keine Kinder mehr, die mit leuchtenden Augen vor den Kerzen am Baum stehen, die mit grossen Augen unerwartete Geschenke öffnen, die glauben, dass der Weihnachtsmann tatsächlich durchs offene Fenster hineingestiegen ist und die Geschenke unter den Baum gelegt hat.

Vielleicht ist es das, was dieses Fest so schwierig macht, dass wir gerne wieder Weihnachten mit Kinderaugen feiern möchten: gutgläubig, staunend, ergriffen, losgelöst von der alltäglichen Realität. Vielleicht ist das Weihnachten: ein Fest der unerfüllten, andauernden Sehnsucht. Vielleicht ist es genau das, was dieses Fest so schwierig macht, sich diese Sehnsucht einzugestehen.

Und so tippe ich gedankenverloren weiter – der Hund schnarcht friedlich zu meinen Füssen – und irgendwann fliegen die Finger über die Tasten und er ist fertig der Weihnachtsgottesdient.

P.S. Für alle Weihnachtsmuffel und die Nullbock-Kirchengängerschaft – noch eine letzte, kleine Achtsamkeitsübung: Wenn Sie meinen Gottesdienst nicht spannend und fesselnd finden, dann seien Sie achtsam: Finden Sie die Anspielung auf meine ganz unchristlich, aber immer wieder vergnüglich entspannende, auf französisch erhältliche Lieblingsfilmreihe. Finden Sie die Marvel-Anspielung! Viel Vergnügen.

Autorin: Iris Hengstler, Lehrperson für Ethik und Religion

Autor: Daniel Steiner