Schülerinnen im Theresianum Ingenbohl

02.11.2017

Internat: Quo vadis

Betrachtungen der Internatsleiterin

Das Internat – ein zeitgemässes Angebot

Wenn Eltern sich dazu entschliessen, ihrer Tochter einen Internatsbesuch zu ermöglichen, geht in der Regel ein intensiver Prozess der Entscheidungsfindung voraus. Pädagogische, soziale, materielle, geographische, familiendynamische, berufsbildungsrelevante Faktoren werden abgewogen, bis schliesslich ein überzeugtes «Ja» zum Internat gefällt ist. Welche Gründe sind es denn, die aus entwicklungspsychologischer und fachlicher Sicht, in einer Epoche ausgesprochen genderorientierter Weltanschauung, für ein Schulinternat für junge Frauen sprechen, und wie gewährleisten die Fachkräfte im Theresianum dann, dass die Schülerinnen den Anschluss an die gemischte Berufs- und Studienwelt gut schaffen?

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Mensch sein und Frau werden

Neben der Schule stellt das Internat einen erweiterten Entwicklungsraum dar. Die Rolle der darin wirkenden Betreuerinnen ist in erster Linie eine pädagogisch-menschliche. Die Beziehungsaufnahme zu jeder einzelnen Schülerin stellt darin eine bedeutende Aufgabe dar. Wir wollen Halt geben und Vertrauen aufbauen: «Wir sind da, wenn du Stütze brauchst, wir sind da, wenn du Erlebtes teilen willst, wir sind da, wenn du ein offenes Ohr für Zukunftsträume suchst.» Unsere Schülerinnen stehen an der Schwelle zum eigenständigen Leben. Es ist die Lebensphase, in der sich die individuellen Persönlichkeiten stark in ihrer Umwelt spiegeln, Hochgefühle und Enttäuschungen sich die Hand reichen, die Hormone Achterbahn fahren, eigene Werte sich mit übernommenen Werten messen, das äussere Erscheinungsbild im Spiel des Lebens wichtig wird, Mädchen und Jungen je ihre eigenen und gemeinsamen Entfaltungsräume suchen und Autoritäten auf den Kopf gestellt werden. In dieser wichtigen Phase der fraulichen Entwicklung können wir den jungen Frauen, zusammen mit den Eltern, die Spielregeln des Lebens aufzeigen. Wir geben ihnen Orientierung und verteilen die Karten so, dass sie gut gerüstet sind, in der Welt draussen das eigene Spiel zu spielen. In der Internatsgemeinschaft üben sie sich im Zusammenleben und in der individuellen Lebensraumgestaltung. Sie lernen von ihresgleichen, von Frau zu Frau.

Ein zweites Zuhause

Als Lebens- und Lernort ist das Internat für unsere Schülerinnen ein zweites Zuhause. Wir können und wollen das elterliche, familiäre Zuhause nicht ersetzen. Beide Formen sozialer Gemeinschaften haben Raum und Platz. Im Zusammenleben junger Frauen allerdings fliessen alle ihre Bedürfnisse zusammen und bilden den Boden für eine erfolgreiche Entwicklung und gezieltes Lernen. Im Alltag bedeutet das, sich gemeinsam einzulassen auf tausend Fragen. Es geht darum, miteinander Lösungen zu finden, gerade auch dann, wenn Berge von Problemen sie scheinbar zu erdrücken drohen. Es heisst auch, Freude zu teilen und Erfolge zu feiern, wenn alles rund läuft, der Himmel hellblau scheint und glückliche Momente den Weg schmücken. Frauen mit Frauen, ohne permanenten Vergleich und ständige Selbstbehauptung unter den Geschlechtern.

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Zwei Geschlechter, ein Ziel

Als Fraueninternat fördern wir die Anerkennung der Unterschiede der Geschlechter. Sie werden als gegenseitige Ergänzung gesehen. Es ist wichtig, dass sich Mädchen (übrigens genauso wie die Jungs) in ihren Gruppen in unterschiedlichen Identitäten erleben können und dabei nicht nur Verständnis für das andere Geschlecht entwickeln. Wir setzen uns ganz bewusst mit geschlechterbedingten Verhaltensmustern und den verschiedenen Entwicklungsstadien auseinander. Die jungen Frauen bekommen in ihrer Identitätsbildung Unterstützung und Feedback. In Gruppen-, Einzel- und Spontangesprächen bearbeiten wir frauenentwicklungsspezifische Themen, die die jungen Frauen wirklich interessieren. Wir reden miteinander und nicht übereinander. Individuelle Fähigkeiten werden besser ausgebildet, ohne auf Rollenklischees reduziert zu werden. Mädchen schätzen sich bei gleichen Leistungen in geschlechtergemischten Schulen in der Regel negativer ein als die Jungs. Durch geschlechtergetrennte Bildung (im Theri wird nur die Fachmittelschule koedukativ geführt) entwickeln die jungen Frauen einen realistischen Blick auf ihre tatsächlichen Leistungen und bauen Vertrauen in ihre Stärken auf. Die Folge davon ist ein selbstsichereres Auftreten, auch in gemischten Gruppen. Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass junge Frauen in geschlechtergetrennten Schulen in Mathematik und Naturwissenschaften bessere Resultate erzielen. Wenn Mädchen nicht in ständiger Konkurrenz mit Jungen stehen, können sie Kompetenzen und Selbstvertrauen besser entwickeln und hegen auch weniger Vorbehalte gegenüber spezifischen Fächern. Wir sprechen im Internat offen über Gefühle. Menschen, die ihren Gefühlen vertrauen, respektieren auch Gefühle anderer. Wir erproben im Alltag, aber auch in speziellen Situationen des Zusammenlebens Verhaltensweisen, die nicht einfach dem tradierten Rollenverhalten entsprechen. Verborgene Fähigkeiten kommen in diesem Rahmen leichter an die Oberfläche. Wir machen die Erfahrung, dass Mädchen motivierter sind, entwicklungsspezifische Themen wie Sexualität, Körper, Freundschaft, Liebe, Beziehung, Familie «unter sich» zu diskutieren.

Das Zünglein an der Waage

Mädchen und Jungen lernen unterschiedlich. U. a. deshalb entscheiden sich Eltern und ihre Töchter gern für das Internat im Theresianum. Die Ziele sind anspruchsvoll, das Betreuerinnen- Team begleitet die jungen Frauen achtsam und professionell in den anspruchsvollen Entwicklungsprozessen. Schlüssige Konzepte, pädagogisches Know-how und gutes Gespür für Menschen bilden die Grundlage für das Gelingen unserer Arbeit. Das eigene Frausein, das Vorleben als Frau, die Fähigkeit, frauenspezifische Kompetenzen zu erkennen und zu entwickeln, die Gestaltung der Beziehungen zu den Schülerinnen und die Fähigkeit, konsequent und transparent zu handeln und gleichzeitig das eigene Handeln zu reflektieren, sind Kernteile der Qualität des Internats im Theresianum. Auch Kontakte zu jungen Männern haben ihre Berechtigung und ihren Platz, sei es in der Freizeit, in den sozialen Medien, zu Hause oder in den Ferien.

Animierende Umgebung

Das Theresianum liegt in einer äusserst lebenswerten, ländlichen Gegend mit guten Verbindungen zu den urbanen Lebensräumen. Der See, die Berge und der Naherholungsraum der Gemeinde Ingenbohl bieten geradezu ideale Voraussetzungen für gemeinsame und individuelle Erfahrungen in der Natur. Unsere Infrastruktur erlaubt neben Sport, Schwimmen, Musik, Gestalten, Spielen und Rückzug fast jede Art von Selbsttätigsein. Die Freizeit- und Vereinsangebote der näheren Umgebung können genutzt werden.

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Autor: Sylvia Guggisberg