22.04.2021

Traces in Sight

Lotta Gadola stellt in der Kunsthalle Luzern aus

Bild

An der Infothek der Kunsthalle Luzern erwartet sie mich persönlich:
Lotta Gadola. Am 17. April 2021 eröffnet sie anlässlich einer Vernissage ihre Ausstellung «Traces in Sight». Lotta war mir bis jetzt in erster Linie als Lehrperson für Bildnerisches und Technisches Gestalten am Theresianum bekannt. Heute begegne ich ihr als Künstlerin. Informationsquellen zu ihrer Arbeit hätte ich genügend gehabt. Lieber aber lasse ich mich jetzt von ihren Werken hineinziehen.

Und es zieht mich augenblicklich hinein in die überdimensional grosse Videoinstallation an der weissen Rückwand. In ihr dreht sich Lotta in eindrucksvoller Übergrösse als Kunstobjekt um die eigene Achse und bemalt dabei Teile ihres Körpers mit drei schwarzen Streifen. Ahmt sie die Körperbemalung von Urvölkern nach? Ich kann meiner Assoziation nicht entgehen und glaube darin unmissverständlich die berühmten Streifen des Adolf Dassler zu erkennen. Später erfahre ich, dass ich irgendwie richtig liege. An benachbarten Wänden entdecke ich in grossen Lettern englische Satzfragmente:

WHEN YOU END UP BEING REPRESENTED
WE ALL HOPE TO BE TRANSFORMED
DEFINITELY CREATE CHANGE

Ich kenne solche Aussagen aus der Werbung. Viele Marken unterstützen ihr Image mit derart Sätzen und hoffen, ihren Kunden damit eine Form von Orientierung zu bieten.
In einer Nische gegenüber, auf einem kleinen Tisch, liegt ein Smartphone. Über dessen Screen läuft, im endlosen Loop eine Strassenszene (offenbar aus Paris). An der Wand darüber und dann auch im niedrigen Kabinett, die enge Wendeltreppe hinunter, treffe ich auf sehr architektonische Fotografien. Sie zeigen Ausschnitte einsamer Nischen, Plätze, Ecken. Die fallenden Linien sind geometrisch sauber in den rechten Winkel gesetzt. Eine gewisse Starrheit oder Sterilität spricht jetzt aus ihnen. Sie wirken geradezu wie Kulissen für ein Bühnenstück.

Erst Lotta gewährt mir im Gespräch dann Einblick in die Hintergründe des Gesamtwerks. Die Künstlerin offenbart sich als äusserst präzise Beobachterin. Und sie beobachtet, ohne dabei zu beurteilen oder gar zu verurteilen, ohne zu werten, ohne Fingerzeig. Sie sammelt Eindrücke, kristallisiert Einzelwerke heraus und fügt diese anschliessend quasi parallel nebeneinander in der Ausstellung wieder zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Dem Betrachter erschliesst sich das Werk dann wieder seriell hintereinander.

Am Anfang von Traces in Sight steht ein Busstop. Die Fahrgäste gönnen sich eine Reisepause auf einem Parkplatz. Durch die Busfenster fällt der Künstlerin eine Gruppe junger Männer auf. Sie tragen schwarze Trainingsanzüge mit drei weissen Steifen. Die Männer fühlen sich durch ihre Kleidung offenbar verbunden, zugehörig, in ihrer Identität bestärkt (wie bereits die Urvölker). Ein vertrautes menschliches Verhalten. In seiner Ausprägung ein spannendes Beobachtungsfeld. Lottas Aufmerksamkeit ist jetzt geschärft und sie begegnet überall im Alltag wieder und wieder ganz ähnlichen Gruppierungen und Szenen. Dabei fällt ihr auf, dass sich diese Gruppen an ganz bestimmten Plätzen mit spezifischen Eigenschaften versammeln. Es sind Treppen, Arkaden, überdachte Winkel, Plätze, Orte die eine Form von Bühne, Rahmen, Kulisse oder auch Schutz, Ecke oder Corner bieten. Genau: Corner! Das Abhängen auf Treppen, in Ecken und unter Arkaden nennt man im Streetslang auch «cornern», klärt sie mich auf.
Jetzt fügen sich die Einzelteile in meinem Kopf zu einem Gesamtwerk zusammen. Die Videoposen, die aphoristischen Satzfragmente, der Smartphone-Loop und die architektonischen Bilder verschmelzen im Geiste übereinandergelegt quasi zu einer soziokulturellen Studie.

Die Posen in den Videosequenzen entlehnt Gadola unzähligen Fotografien aus Social-Media-Accounts. Die jungen Menschen imitieren in ihren Bildern oft gerne die Posen der Models bekannter Sportbekleidungsmarken. Auch die Satzfragmente an den Wänden entdeckt sie beim bereits zu Beginn erwähnten Sportbekleidungshersteller. Die menschenleeren und saubergefegten architektonischen Fotografien legen sich nun verstärkend hinter die Szenerien. Und der Video-Loop auf dem Smartphone? Er verbindet die Einzelteile nun geschickt miteinander.

An der Garderobe hängt ein schwarzer Pullover mit weissen Streifen. Ich schmunzle. Auf meinem Heimweg sehe ich die Strassen und Plätze Luzerns auf einmal mit ganz neuen Augen. Wo cornern sie gerade?

Die Ausstellung fand vom 17. April bis 30. Mai 2021 in der Kunsthalle Luzern statt.


Bildliche Eindrücke

  • Bild 01: Aphoristische Satzfragmente
  • Bild 02: Projektionen an der Hallenwand
  • Bild 03: Drei Streifen auf der Haut
  • Bild 04: Architektonische Ecken und Nischen
  • Bild 05: Ausstellungsfortsetzung im Kabinett
  • Bild 06: Videoloop "Cornernd" auf dem Smartphone-Screen
  • Bild 07: Der Pulli an der Garderobe
  • Bild 08: Die Künsterlin vor ihrer Projektion
Bild
Bild

Lotta Gadola hat sich im Jahr 2019 erfolgreich für die Publikation «Junge Kunst Stadt Luzern» beworben, die ihr von der Kommission Bildende Kunst Stadt Luzern verliehen wurde. In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt sie sich mit dem menschlichen Körper und seinen Verhaltens- und Bewegungsmustern. Oftmals setzt sie ihren eigenen Körper als unmittelbares Werkzeug und Material ein, um in verschiedenen Medien – Video, Fotografie, Plakate, Objekte – ihre performativen Aktionen festzuhalten. Das Interesse der Künstlerin gilt dem zeitgenössischen Diskurs um, über und mit dem Körper und seiner permanenten Relation zu gesellschaftlichen und identitätsstiftenden Themen.

Lotta Gadola (*1991 in Singen DE, aufgewachsen in Stäfa ZH, lebt und arbeitet in Luzern) studierte Bildende Kunst an der Hochschule Luzern – Design & Kunst und schloss 2018 den Master of Arts in Fine Arts mit dem Major Art Teaching ab. Für ihre Abschlussarbeit wurde sie mit dem Förderpreis der Max von Moos Stiftung ausgezeichnet und hat in den letzten zwei Jahren weitere Anerkennungen für ihre künstlerische Arbeit erhalten (Publikation Junge Kunst Stadt Luzern, Atelier Stipendium der Stiftung Atelier Cité Paris). Seit 2018 befindet sich das Atelier von Lotta Gadola im Gelben Haus in Luzern.


Weitere Informationen:

Medienbericht Luzerner Zeitung
Gelbes Haus

Autor: Daniel Steiner